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Silvie Aigner über Mario Dalpra

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Silvie Aigner
Text zu "Mario Dalpra - Zeichnung und Malerei" S.8/S.9 - 2005
Ein Fremdkörper in dieser Welt

Mario Dalpra Voglhofer Silvie Aigner

Mario Dalpra ist ein Kosmopolit – ein Reisender, dessen Herangehensweise an die Ferne sich jedoch weitab von touristischen Seh- und Reisegewohnheiten bewegt. Seine Verbindung mit den jeweiligen Ländern und Orten schließt ein zielgerichtetes, vereinnahmendes Herangehen an das Fremde bewusst und vehement aus. Die Kultur schlägt alles mit Ähnlichkeit, meinte bereits Adorno. Wozu also sollte ein Künstler daran interessiert sein, sich mit der Kultur, mit der Formensprache des Landes, in dem er sich gerade aufhält, zu assimilieren? Wenn Einflüsse manchmal im Werk von Mario Dalpra auftauchen, so erscheinen sie wie ferne Erinnerungen. Sie geschehen aus einem Unbewussten heraus, wie eben alles, was einen umgibt, das eigene Schaffen, Denken und Leben formt. War es früher Australien, Japan, Tasmanien oder die USA, so ist heute Indien seine zweite Heimat geworden, zumindest für eine Hälfte des Jahres. Heimat, so meinte Ernst Bloch, ist jedoch ein polarisierender Begriff, „etwas, dass allen in die Kindheit scheint, und worin noch niemand war.“ Eine Suche nach dem vermeintlichen Paradies, das nicht selten fernab in jenen Ländern lag, die in der Imagination Bilder lieferten, die sie zu Wunschlandschaften und verschlüsselten Metaphern werden ließen. Die Sehnsucht danach veranlasste seit jeher Menschen zu reisen, auf der Suche nach Erkenntnis und Bewusstseinserweiterung. Für Ernst Bloch bedeutet das Glück der Reise das zeitweilige Entrinnen ohne Nachforderung von zu Hause, dennoch ist in der Fremde nichts exotischer als der Fremde selbst. Selbst der Künstler gesteht, trotz familiärer Beziehungen ein Fremdkörper in dieser Welt zu bleiben, dessen gesellschaftliche Ordnung ihm Rätsel aufgibt. Doch abseits des bekannt Alltäglichen führt der Ort, an dem der Fremde – trotz aller Bereitschaft zur Kommunikation und Offenheit, allein durch die europäische Lebensform, die er stets in sich trägt – ein bestaunter, mitunter belächelter Einzelgänger bleibt, zu einer Umkehrung der eigenen Wahrnehmungsordnung. Eine gewisse Genauigkeit des Blickes, eine bewusste Beobachtung selbst alltäglicher Dinge und Handlungen zeichnet den Schaffensprozess des reisenden Künstlers aus, der in der zeitgenössischen Kunst selten einem Reisebericht gleicht. Vielmehr scheint der Reisende dadurch, dass er sich in einer anderen Umgebung befindet, auf sich selbst zurückgeworfen. Die Verfremdung, so Ernst Bloch, bewirkt eine Art subjektiver Verzeitlichung des Raumes: „Der Raum wird das Medium der Veränderung, wie sonst nur die Zeit.“ Hinausgeworfen aus den Notwendigkeiten des Alltags wird die Zeit unendlich, der Raum bietet die Möglichkeit, aber auch die Gefahr des sich Treiben Lassens. Dieser begegnet Mario Dalpra mit Disziplin und der Schaffung eigener Tagesordnungen – Regeln, die eine Art Rahmenbedingungen liefern, um die kreative Schöpfungsenergie auszuloten. So entstand über den Zeitraum von sechs Monaten hinweg jeden Tag ein Blatt – stets im selben Format und nahezu in derselben Technik. Allein nicht zu überlegen, welche äußere Form die Komposition verlangt, sowie mit jenen Farben auszukommen, die einem an diesem Ort, zu dieser Zeit zur Verfügung stehen, bewirkt eine Verinnerlichung, Konzentration und Spannung, die den äußeren Verlockungen des Exotischen widersteht. In der Arbeit an dieser Zeichenserie entwickelte Mario Dalpra seinen eigenen Rhythmus, Zeitabläufe, Zeitabschnitte oder Variationen einer formalen Idee darzustellen. Seine Annäherung an die Fläche, an das Weiß des Zeichenblatts wirkt dabei wie ein Balanceakt zwischen Gestik, meditativem Erspüren und exakter Form. In großer Unmittelbarkeit, wie es dem Medium der Zeichnung eigen ist, setzt Mario Dalpra seine Komposition ins Blatt. Die komplexen bildtechnischen Mittel seiner charakteristischen Mischtechnik aus Kunstharz, Bleistift, Ölkreide, Acryl und Farbstift zeigen einmal mehr auf, dass eine traditionelle kunsthistorische Differenzierung der Gattungen nicht mehr funktioniert. Der Gegensatz bzw. das Miteinander der malerischen und graphischen Formen bestimmen die Komposition. Mario Dalpras Zeichnungen zeigen dabei in mehrfacher Hinsicht Beziehungen auf: jene rein formalen, die zwischen den einzelnen grafischen und malerischen Elementen sowie den Freiräumen dazwischen bestehen, und jene, die sich aus den Darstellungsinhalten ergeben. Die Blätter zeigen weder einen tiefenräumlichen Aspekt noch eine wahre Bildmitte. Die einzelnen Partien erscheinen vielmehr als gleichwertige Identitäten nebeneinander oder miteinander im Bild zu agieren. Der Betrachter wird Beobachter einer Szenerie, deren Bühne das Format des Zeichenblattes bildet, auf dessen Grund sich das Zusammentreffen der Formen und Farben vollzieht. Manchmal erscheint dieses narrativer angelegt, zumeist jedoch wirkt das Blatt eher wie ein kurzer Augenblick, in dem sich dem Betrachter Einblicke in einen anderen Raum, in eine Handlung fernab seiner eigenen Realität ermöglichen. Hier zeigt sich auch, dass Mario Dalpra, selbst wenn die Serie der Zeichnungen auch eine Art persönlicher Tagebuchnotiz darstellt und der Subjektivismus des Striches, die graphische Handschrift des Künstlers einen großen Anteil an der ästhetischen Wirkung der Darstellung hat, die sachliche formale Auffassung der Komposition über den gestischen Ausdruck innerlicher Befindlichkeit stellt. Die graphischen Elemente – vor allem in Kombination mit zuweilen auftauchenden Texteinschüben – suggerieren einerseits Referenz, leiten den Blick des Betrachters und nehmen den Diskurs auf. Doch der Wunsch, etwas Bestimmtes auszudrücken, und die Lust an der Umsetzung der dem Medium und der Größe des Zeichenblattes immanenten formalen Überlegungen halten sich die Waage. Mario Dalpra lässt der Farben nicht alle Freiheiten, genauso wenig wie den graphischen Formen, die er in den Dienst der Erzählung stellt.
Die Farben legen sich als homogene Flächen über die Zeichnung oder sie schieben sich als Balken von oben und unten in das Bild. In jedem Fall definieren sie die Dimension des Raumes und heben die Zeichnung auf eine bestimmte Ebene. Ihr Farbton, ob dunkel oder hell, sowie ihre Anordnung auf der Fläche unterstützen die Wirkung der Figuren. Sie scheinen einmal dazwischen zu schweben, sich mit einer Leichtigkeit vom opaken Farbgrund abzustoßen, während sie in anderen Blättern von der Farbe eingeschlossen werden. Bedrohlich schieben sich die Farbflecke in die Bildmitte, die Bewegung hin zur Figur wird auch für den Betrachter körperlich spürbar und evoziert ein unangenehmes Gefühl. „It is not enough to be free“ lässt uns der Künstler wissen und zeichnet schwebende weibliche Figuren in den Grund der weißen Bildmitte. Köpfe, die an losen Schnüren hängen. Sie erinnern an die Klimtschen Wassernixen ebenso wie an die Hexen von Eastwick, deren polarisierende Bedeutung zwischen Verführung, Erotik und dem darin implizierten Untergang liegt. „Dog in action“ ist im Gegensatz dazu humorvoller. Ein etwas unbeholfenes Tier versucht scheinbar immerfort sich gegen die Schwerkraft zu stemmen, abzuheben und sich dem am oberen Bildrand erscheinenden roten Fleck zu nähern. Während man hier versucht ist, sich Kindergeschichten abzurufen, wie jene des kleinen, unbelehrbaren Schafes, das immer und immer wieder versuchte, durch Bocksprünge die Sonne zu erreichen, sind andere Blätter weitaus dramatischer. Sie zeigen stürzende Figuren, die an das Scheitern des Ikarus gemahnen, oder die Begegnung zwischen Mann und Frau in all ihren Möglichkeiten. Zumeist verschlungen oder einander haltend – aufhaltend. Nicht selten scheint die weibliche Figur dabei führend, die Richtung bestimmend, der Mann, sich an sie klammernd, wird mitgezogen. Andere Wesen vollführen extreme Verrenkungen. Zuweilen wird der Weg durch die hereinbrechenden Farbenbalken versperrt und der Rückweg abgeschnitten. „It is behind me!“, schreibt Mario Dalpra ins Bild und visualisiert den stummen Schrei der Kreatur. So sind die Erfahrungen, die der Künstler bei seiner eigenen inneren Reise macht, nicht immer angenehm. Doch ist es zulässig, die Geschichte der Bilder mit der Autobiographie des Künstlers zu verbinden? Sind es nicht vielmehr „stories that are never real, imagined and inherited“, wie eine australische Journalistin zu den Arbeiten von Mario Dalpra schrieb? Die auf den ersten Blick romantisch und auch naiv wirkenden Fabelwesen verführen zu Assoziationen, in denen sich Interpretation, Erlebtes und Erinnertes vermischt. Ihre schnell umrissenen Köpfe zeigen eine Umsetzung differenzierter Emotionalität und Befindlichkeit. Doch bei längerer Betrachtung erweisen sich die Zeichnungen Mario Dalpras als unglaublich exakte, in jeder Einzelheit auf andere Details Bezug nehmende Komposition von intensiver, konzentrierter Qualität. Dabei geht es auch – vielleicht sogar insbesondere – um eine Komposition, die in jenen Bereich zielt, der das Nicht-Sprechen-Können umfasst, den schon Augustinus beschrieb, wenn er meinte: „Wenn mich jemand fragt, dann weiß ich es, wenn ich es aber jemandem erklären möchte, dann weiß ich es nicht.“
Verwendete Literatur:
Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt am Main, 1959
Klaus Kufeld, Die Erfindung des Reisens, Wien, 2005
(Mario Dalpra, Verlag Neugebauer Graz Österreich - ISBN: 3-85376-267-0)


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